Ein kleines Boot, ein beschauliches Dorf in Norwegen und ein Mann der seine Schwester sucht. Was nach einem seichten Adventure klingt, entpuppt sich als ein gewaltiges Drama. Draugen nimmt uns mit auf eine intensive Reise. Lohnt sich der Ausflug?
Die Idylle trügt
Es geht nach Graavik, hier soll sich nämlich Betty aufhalten, Edwards Schwester. Zusammen mit seiner Freundin Alice begibt er sich auf die Suche. Da wir uns in den frühen 1920er Jahren befinden, paddeln wir noch ganz klassisch in Richtung Küste. Dort angekommen scheint aber alles wie verlassen, keine Bewohner tummeln sich dort, die Häuser stehen leer, alte Plakate zeugen davon, dass hier irgendwann das Leben stillstand. Und auch von der vermissten Schwester fehlt jegliche Spur.
Aus der Ego-Perspektive bewegt man Edward über die Insel, dabei ist es nur möglich zu laufen und gegebenenfalls mit der Umwelt zu interagieren, etwa eine Tür zu öffnen, sich hinzusetzen oder etwas zu lesen. Edward muss sich zunächst auf der Insel zurecht finden, wo sich die Leute, wo ist seine Schwester?
Es gilt dem Geheimnis dahinter auf die Spur zu kommen, dabei findet man immer weitere Hinweise zu den Bewohnern, sowie den Fretlands, einer zerrütteten Familie. Spätestens als Edward und Alice dann eine Leiche finden wird klar, die Insel Graavik verbirgt noch viel mehr!
Doch die Suche an sich ist nur die halbe Miete in Draugen, unterstützt wird man von der jungen Alice. Sie ist unser ständiger Begleiter. Die Interaktion mit ihr, bestimmt einen Großteil des Spielablaufs. So unterhalten sich die beiden über ihr herkömmliches Leben, über ihre Persönlichkeiten und natürlich auch über die Geschehnisse auf der Insel. Die Dialoge sind dabei hervorragend gelungen und man hängt förmlich an den Lippen der beiden. Dabei ist Alice sogar ein etwas schwieriger Charakter und ist nicht immer einer Meinung mit Edward.
Guck mich an wenn ich mit dir rede!
Immer wieder gibt es zudem die Möglichkeit Fragen zu beantworten, wobei uns mehrere Antworten zur Verfügung stehen. Fährt man die Maus über eine der Antworten, wird dort knapp beschrieben woraus die Antwort besteht. Das ist durchaus praktisch, so kann man sich ein klareres Bild davon machen, wie die folgenden Sätze lauten werden. Nur leider haben die keinen Einfluss auf das weitere Spielgeschehen, somit ergeben sich leider keine alternativen Geschichten oder gar Spielabschnitte dadurch.
Dennoch sind die Dialoge ein wahres Highlight, was auch an der wirklich ausgezeichneten englischen Vertonung liegt, für Englisch-Muffel gibt es aber deutsche Untertitel, die eine solide Übersetzung bieten. Nicht immer seid ihr jedoch mit Alice unterwegs, mal rennt sie vielleicht schon voraus, oder bleibt noch einen Augenblick zurück und lässt euch voran gehen. Mit der „F“ Taste könnt ihr jedoch immer nach ihr rufen und bekommt visuell dargestellt, aus welcher Richtung ihr Antwortruf kam, so könnt ihr euch nie gänzlich verlieren.
Da Draugen ein von der Story angetriebener Walking-Simulator ist, möchte ich auch gar nicht zu viel hier Preis geben. Jedoch sollte erwähnt werden, dass Draugen im Tieferen das Thema der Schizophrenie aufgreift, es behandelt damit also psychische Krankheiten. Die Umgangsweise mit diesem Thema ließ mich am Ende weder zufrieden, noch enttäuscht zurück. Das liegt besonders daran, dass Draugen ab Mitte des Spiels ganz massiv dieses Krankheitsbild in den Vordergrund stellt und sich im Spiel, gerade unter Berücksichtigung der Suche nach Betty und der leeren Stadt Graavik, mehr Fragen stellen, als beantwortet werden.
Kurzes Vergnügen
Gerade das letzte Drittel des Spiels nimmt sehr schnell an Fahrt auf, zu schnell möchte man meinen. Die Geschichte wird geradezu voran gepeitscht, ohne dass man vieles wirklich detaillierter ergründen kann, oder dass das Spiel zufriedenstellende Antworten gibt. In dieser Hinsicht hätte sich Draugen mehr Zeit nehmen müssen, so ist das Spiel leider schon in knapp drei Stunden durchgespielt, und das obwohl man das Spiel zurücklässt, ohne das Gefühl zu haben, es wirklich vollständig durchgespielt zu haben. Zumindest kann man sich als Spieler immer wieder die Zeit nehmen, um die wunderschön ausgearbeitete Landschaft Graavik’s zu genießen.
Die Kulisse wirkt nahezu malerisch, und das im wahrsten Sinne des Wortes. Oft scheint es als würde man per Lavierung die Farben ineinander überlaufen lassen, was dem Grafikstil eine künstlerische Note gibt. Leider übertreibt man es hier und da, sodass man ein wenig aus der Immersion gerissen wird. Zudem wirken die Animationen von Alice oft etwas hakelig, die Umgebungen dagegen sind wirklich toll gelungen.
Fazit
Selten hat ein Walking-Simulator eine so schöne Mischung aus Dramaturgie und so intensiven und ausgefeilten Dialogen geboten. Die Geschichte offenbart schnell eine viel tiefer greifende Handlung, die spannend ist und mich stets vorangetrieben hat. Untermalt mit der Interaktion mit Alice, die in Sachen Dialogqualität in der Champions-League spielt, hat mich Draugen wirklich begeistert. Leider hetzt mich das Spiel später zunehmend dem Ende entgegen, offenbart die psychischen Probleme Edwards, und wirft in diesem Umgang noch mehr Fragen auf. Leider nimmt sich das Spiel dann nicht mehr die Zeit diese zu beantworten und verhindert dadurch leider ein Top-Wertung. Trotz der sehr kurzen Spielzeit ist Draugen für jeden Liebhaber von starken Dialogen und packenden Geschichten eine absolut empfehlenswerte Investition.