Ein letztes Abenteuer gilt es mit Clementine zu bestreiten. Doch nicht nur sie, auch für das Entwicklerstudio Telltale Games ist es die letzte Reise. Bereits 2018 wurde verkündet, dass das Studio geschlossen werde, und das mitten in der Entwicklung der letzten beiden Episoden zu The Walking Dead: The Final Season. Schließlich übernahm Skybound Entertainment die Verantwortung, das Studio hinter Robert Kirkman, dem The Walking Dead Schöpfer. Zusammen mit einigen Telltale Veteranen wurde das Spiel zu Ende gebracht. Meistens leidet ja die Qualität unter schwierigen Bedingungen bei der Entwicklung, ob das auch bei der vierten Staffel zu The Walking Dead zutrifft, verrät unser Test.
Viel Zeit ist vergangen
Es ist einige Zeit seit der dritten Staffel vergangen. Clementine ist deutlich erwachsener geworden und befindet sich wahrscheinlich im fortgeschrittenen Jugendlichen-Alter. Auch Ziehsohn AJ ist gewachsen und hat bereits viel von Clementine lernen können. Im Kampf ums Überleben wollen die beiden ein altes Bahnhofsgebäude nach Vorräten durchsuchen. Doch das Glück ist nicht auf ihrer Seite, nicht nur das ein unbekannter Plünderer aufkreuzt, auch eine riesige Zombieherde kriegt Wind von dem Aufenthalt der Beiden.
Gerettet werden sie aber von einer Gruppe Kinder, diese besetzen ein ehemaliges Internat für schwer erziehbare Kinder und haben dort eine Gemeinschaft aufgebaut. Nicht jeder ist allerdings von der Anwesenheit von Clementine und AJ begeistert, schließlich ist Nahrung knapp. Zu allem Überfluss werden die jungen Überlebenden von einer Gruppe Plünderer tyrannisiert, die die Kinder als Krieger rekrutieren will, damit sie gegen eine andere verfeindete Gruppe kämpfen. Das sorgt auch unter den Kids für Spannungen. Clementine jedenfalls möchte den Kampf gegen die gewaltbereite Gruppe aufnehmen. Ein hohes Risiko, welches zu Verlusten führen wird…
Doch mehr möchte ich dazu gar nicht verraten, schließlich leben Telltale Spiele von ihrer Geschichte, und die ist absolut gelungen. Zugegeben, die erste Episode ist ein auf und ab, von ruhigen Momenten mit moralischen Zwiespalt, über actiongeladene Sequenzen bis hin zu schönen Momenten des Erkundens, es gibt so viele Dinge, die die Auftakt-Episode sehr gut meistert. Doch gerade ab dem zweiten Viertel der ersten Episode verliert sich das Erzähltempo deutlich, man verbringt viel Zeit mit Dialogen, um die Charaktere näher kennen zu lernen.
Viel Zeit vergeht jedoch auch, ohne wirklich fundamentale Charaktereigenschaften herauszufiltern. Die Mitte plätschert sich so ein bisschen voran, um dann im letzten Viertel so richtig aufzudrehen. Das gelingt dadurch, dass die vorige Spielzeit sehr idyllisch und unspektakulär verlief. Die Geschichte nimmt Tempo auf, vermeintliche Ansichten müssen hinterfragt werden, Geheimnisse kommen zum Vorschein, Intentionen einzelner Charaktere werden offen gelegt. Telltale at it’s best.
Typisch Telltale
Die Episode 2 ist vielleicht die schwächste der Staffel, es kommen wenige Höhepunkte auf, wenngleich das hier Meckern auf hohem Niveau ist. Allerdings besticht diese Episode dadurch, dass man nach der ersten Kennlernphase nun die Protagonisten viel besser kennenlernt, ihre Charakterzüge erfährt und deren Ansichten versteht. Dies passiert in enorm vielen Dialogen. Die sind wie eh und je gespickt mit einigen Passagen, in denen man selbst Entscheidungen treffen muss. Diese wirken sich nicht nur auf das weitere Geschehen aus, auch das Verhältnis zu den anderen Personen wird dadurch beeinflusst.
Besonders der kleine AJ prägt sich die Wort und Taten von Clementine gut ein. So kann man ihm verschiedene Ansichten zum Töten beibringen, die sich dann auf seinen Charakter auswirken. Bringt man ihm bei, nicht zu töten und das Mord etwas Schlechtes ist, ist AJ daraufhin sehr verwirrt, wenn Clementine vor seinen Augen dann widersprüchliche Taten ausübt. Auch beeinflusst es sein Verhältnis zu ihr, aber auch das zu den anderen Kindern aus dem Internat. Ich habe stets das Gefühl gehabt, dass mein Handeln sich deutlich auf die Geschichte ausgewirkt hat, so wie ich es in den ersten beiden The Walking Dead Staffeln von Telltale in Erinnerung habe. Ohnehin ist die Beziehung zwischen AJ und Clementine etwas Besonderes und erinnert immer wieder an Lee und Clementine. So wachsen einem die beiden Charaktere sehr ans Herz und fühlt mit ihnen.
Die dritte Staffel legt dann ein irres Tempo hin. Besonders Action Passagen finden sich nun häufiger wider. Diese lockern das Spielgeschehen wie gewohnt auf, auch wenn die Vielfältigkeit des Gameplays nach wie vor überschaubar bleibt. Meist bringen mich Quick-Time-Events durch diese Passagen. Aber auch Abschnitte, in denen man sich freier bewegen kann, findet man immer wieder. Gesteuert wird die Heldin Clementine dann aus der Third-Person Ansicht und gerade Sequenzen in denen man kämpfen oder schießen muss, profitieren davon, dass man sich etwas freier bewegen und dabei zielen kann. Kein Meilenstein, aber dennoch eine kleine Verbesserung.
Time to say Goodbye
Nach einer furiosen dritten Episode schließt eine noch furiosere und zugleich unglaublich emotionale vierte Episode die letzte Staffel ab.
Nachdem die Geschichte um Clementine mit all seiner Dramaturgie, Wendungen und Intensität ein Ende findet, nimmt sich die vierte Episode das letzte Viertel Zeit, um sich zu verabschieden.
Nicht nur die letzte Episode verabschiedet sich, auch nicht nur die letzte Staffel, sondern gleich eine ganze Reihe mitsamt ihrer Entwickler verabschieden sich, und das auf eine ganz emotionale Art, die doch von Idylle umgeben wird. Die vierte Episode schließt einen Kreis und bietet all das, was die erste Staffel damals so großartig gemacht hat und weswegen Telltale Games überhaupt so große Erfolge feiern konnte. Die Reihe mit der alles begann, ist auch jene, mit der alles endet.
Skybound schafft es hier tatsächlich das hohe Niveau von einst zu erreichen und schuf einen großartigen Abschluss. Dem Entwicklungsprozess geschuldet ist jedoch, dass es einige Logikfehler gibt, gerade in der vierten Episode. Über die kann man angesichts der sonst so hohen Qualität hinwegschauen. Schon eher ins Gewicht fallen die Charaktere in Staffel 4, denn hier trifft sich hui und pfui. Während es interessante und vielschichtige Personen gibt, bleiben so manche auch sehr blass.
Gerade die Antagonisten werden oft einfach nur als „böse“ dargestellt, ohne so richtig auf deren Absichten, Erfahrungen oder Beweggründe einzugehen. Damit wirken so manche Figuren in ihren charakterlichen Zügen sehr einspurig. Nur wenige wachsen einem so richtig ans Herz oder überzeugen mit ihrer Vielseitigkeit. Wenn es also eine Schwäche gibt, dann ist es diese. Gerade die ersten beiden Staffeln haben so vielseitige Figuren hervorgebracht, das bleibt auch nach der vierten Staffel unerreicht.
Schön, trotz Uralt-Engine
Das letzte Telltale Spiel ist auch eines der schöneren des Studios. Deutlich schönere Effekte, als auch realistischere Texturen finden den Weg ins Spiel, ohne das der Comic-Look darunter leiden muss. Die Mischung daraus ergibt das wohl schönste Spiel des Entwicklerstudios, da kann man über gelegentliche kleinere Ruckler auch mal hinwegsehen. Gerade die überarbeiteten Lichteffekte stechen besonders positiv hervor und steuern der dichten Atmosphäre bei. Die Lauscher bekommen entweder eine ordentliche deutsche Sprachausgabe, oder die erstklassige englische Vertonung, für jene die die englischen Stimmen einfach passender finden. Auch ich beließ es bei der englischen Tonspur, denn schließlich bin ich mit der groß geworden (zumindest im Walking Dead Universum von Telltale).
Übersetzungsfehler gibt es leider auch in diesem Spiel, nicht viele, aber es fällt auf. Den Sinn verfälscht es jedoch meist nicht und somit bietet die deutsche Sprachausgabe, als auch die deutschen Untertitel eine gute Möglichkeit das Spiel zu genießen, wenn man des Englischen nicht mächtig ist. Untermalt wird das Geschehen von schöner Musik, die mal dramatisch und aufwühlend, manchmal idyllisch, hin und wieder beklemmend sein kann. Und in passenden Momenten tritt sie auch mal gar nicht in Erscheinung. Eine wunderbare Balance wurde hier gefunden.
Fazit
Selten bin ich nach einem so tollen Spiel so traurig gewesen, die letzte Staffel markiert nicht nur das Ende eines unglaublich spannenden Abenteuers, es bedeutet auch das Ende von Telltale Games. Dabei kommt „The Final Season“ stellenweise sogar an die heute noch gefeierten ersten beiden Staffeln heran und überschattet die dritte Staffel problemlos. Der aufgefrischte Look, die Dramaturgie, die vielen Entscheidungen und die Emotionalität, ich werde all das vermissen. Wer die Vorgänger gespielt hat sollte definitiv zugreifen, alle anderen sollten am Besten gleich die ganze Reihe nachholen. Der Umstand, dass das Spiel trotz eines externen Entwicklers doch noch so großartig geworden ist, lässt mich dennoch ein wenig zuversichtlich in die Zukunft blicken, denn Skybound hat das Erbe angetreten und unter Beweis gestellt, dass sie sich als absolut würdig erweisen und hoffentlich noch viele weitere Geschichten im Sinne und Stile von Telltale erzählen dürfen.