Machen Killerspiele wirklich aggressiv?

Battlefield 1

Quelle: Electronic Arts

Es ist jedes Mal ein Spektakel: Jugendlicher begeht Gewalttat und hegt in seiner Freizeit Interesse an „Killerspielen“. Natürlich, woher sonst soll seine Lust auf Gewalt und sein aggressives, antisoziales Verhalten kommen? Die Medien laufen heiß und die „Expertenmeinungen“ schreien immer lauter darüber, dass Videospiele verboten werden sollen oder zumindest eingeschränkt. Es gibt mittlerweile unzählige Studien, die immer das gleiche sagen: „Ja, Videospiele fördern Aggressionen“  oder „Nein, Videospiele fördern das nicht“. Was bleibt, sind zum Beispiel TV-Debatten, in denen ältere „Non-Gamer“ sich darüber äußern, welch schädlichen Einfluss Videospiele auf Jugendliche haben, obwohl diese Non-Gamer abgesehen von Tetris noch kein Spiel gespielt haben. Und diejenigen, die in der Gaming-Szene zuhause sind, werden meistens übergangen oder nicht gehört, obwohl sie es doch am besten wissen sollten. In dieser Kolumne möchte ich die ganze Thematik etwas wissenschaftlicher angehen, aber auch die subjektive Seite beachten. Es soll darum gehen, warum Aggression und Gewalt nicht automatisch mit Videospielen bzw. Shootern verbunden werden sollte.

Warum spielen Leute überhaupt Videospiele? Weil es Spaß macht, weil es ein guter Zeitvertreib ist, weil es ein Hobby/eine Leidenschaft ist. Andere sammeln Briefmarken oder sitzen im Garten und spielen mit ihren Pflanzen, ich sitze lieber zuhause und zocke. Ich liebe es, in eine andere Welt einzutauchen, mich ein bisschen ablenken zu lassen und kurzzeitig jemand anderes zu sein. Es geht aber auch wissenschaftlich: Videospiele können zur Bedürfnisbefriedigung des Menschen beitragen (Wulf 2016: 45 ff.). Ryan, Rigby und Przybylski wendeten die SDT (self-determination theory; deutsch: Selbstbestimmungstheorie) auf Videospiele an. Der ganze Sachverhalt ist ziemlich komplex, daher erlaube ich mir hier eine kurze Zusammenfassung: SDT ist eine Motivationstheorie, die erklären soll, welche Motivation hinter einem Verhalten steckt. Dabei geht man von drei Grundbedürfnissen aus, die hinter dieser Motivation stecken (Kompetenz, Autonomie, soziale Verbundenheit). Die eben genannten Wissenschaftler nahmen an, dass ein Videospiel das Bedürfnis nach Kompetenz und Autonomie befriedigt, da „Spieler […] mehr Spaß im Spiel [hatten], wenn sie sich dabei kompetent und eigenständig fühlten“ (Wulf 2016: 46).

„Przybylski, Rigby und Ryan (2010) gehen davon aus, dass 1) Autonomie in Spielen vor allem dann adressiert werde, wenn Spieler sich in Welten bewegten, in denen sie freie Entscheidungen treffen dürfen, 2) Kompetenz dann erfüllt werde, wenn die Anpassung des Schwierigkeitsgrades mit dem Können des Spielers etwa übereinstimmt (es also nicht zu leicht oder zu schwer sei) und 3) Verbundenheit vor allem in der kooperativen und kompetitiven Interaktion mit anderen Spielern sowie das Knüpfen gemeinsamer Bündnisse erfüllt werden könne. Bedürfnisbefriedigung gehe einher mit erhöhter Vitalität, Selbstbewusstsein und positivem Affekt“ (Wulf 2016: 46).

Laut den Wissenschaftlern tragen Videospiele sogar zur psychischen Gesundheit bei (Lobel et al. 2016: 884). Angemerkt werden muss aber, dass Videospiele vielerlei Faktoren beinhalten, die die Bedürfnisbefriedigung beeinflussen, u. a. der Charakter des Zockers selber. Jeder Zocker besitzt verschiedene Bedürfnisse, Wahrnehmungen und Erfahrungen sowie eine andere Persönlichkeit, sodass der gleiche Inhalt eines Videospiels auf jeden eine andere Wirkung haben kann (Wulf 2016: 48). Das heißt kurz gesagt für uns: „Killerspiel“ wirkt auf jeden anders. Und da ich bereits Bekanntschaft gemacht habe mit einigen Shooter-Liebhabern, kann ich ohne Zweifel sagen, dass offensichtlich nicht jeder von ihnen aggressiv und gewaltbereit wird. Sind es vielleicht eher die schwarzen Schafe unter den Gamern, deren Verhalten tatsächlich durch Shooter etc. beeinflusst wird?

Quelle: Activision

Die Medien schreien immer ganz laut, dass es diese „Killerspiele“ sind, die die ganze Jugend versaut und die Kinder aggressiv macht. Diese Killerspiele sind angeblich dafür verantwortlich, wenn in Amerika ein Amoklauf passiert. Niemand spricht von dem einzelnen schwarzen Schaf, stattdessen ist die ganze Gamer-Szene eine Herde aus schwarzen Schafen. Ich wage aber, hier eine Trennlinie zu ziehen: Zwischen dem Casual-Gamer und einigen schwarzen Schafen, die tatsächlich anders auf diesen Inhalt reagieren.

Ferguson und Olson, zwei amerikanische Psychologen, zeigten in ihrer Studie, dass Kinder (377 Kinder, Durchschnittsalter 13 Jahre) mit psychischen Defiziten wie Depression oder ADS keine negativen Nebeneffekte von Videospielen hatten (Frankfurter Rundschau [online]: 2013). Anscheinend sollte es auf einige Kinder sogar beruhigende Effekte haben (vielleicht, weil im Spiel angestaute Aggressionen abgebaut werden können?). Man könnte hier natürlich fragen, welche Spiele diese Kinder gespielt haben, denn Tetris und Battflefield haben zwei verschiedene Spielinhalte. Tetris sollte nicht so aggressiv machen wie ein Shooter – auch wenn eine Studie der Oxford und Rochester Universität behauptet, dass nicht der Spielinhalt, sondern die Spielmechanik eher aggressiv mache (ZEIT online, Kühl 2014). („Anders gesagt: Je frustrierender das Spiel für seine Spieler ist, desto aggressiver werden diese“ (ebd.). Und dies ist eine Tatsache, die ich ohne weiteres bestätigen kann, denn Dark Souls regt mich nun mal mehr auf als ein Shooter. Ich habe mit eigenen Augen die Aggression gesehen, die sich anstaut, wenn man nach dem zehnten Versuch schon wieder gestorben ist!)

Der Psychologe Ferguson sagte sogar, dass gewalttätige Videospiele wie Shooter auf „anfällig[e] Jugendlich[e] mit klinisch nachgewiesenen psychischen Auffälligkeiten“ (Frankfurter Rundschau [online]: 2013) keine Effekte habe. Zumindest fanden sie in ihrer Studie keinen Hinweis darauf. Das würde ja heißen, dass es keine schwarzen Schafe geben dürfte. Ich kann nicht eindeutig sagen, inwiefern dieses Ergebnis generalisiert werden kann. Ich würde aber so weit gehen, zu sagen, dass es sehr wenige schwarze Schafe gibt. Somit wäre die These „Videospiele machen aggressiv“ nur bei sehr wenigen Individuen zutreffend, sodass die ganze Diskussion eigentlich hinfällig ist. Ausnahmen gibt es immer, einer von zehn sozusagen.

Dennoch haben wir die schwarzen Schafe gesehen, im Internet sowie in den Nachrichten. Meiner Erfahrung nach sind diese schwarzen Schafe oftmals Kinder oder unreifere Erwachsene, die manche Sachen einfach anders verarbeiten und sich extrem hineinsteigern. Laut Lobel und Kollegen sind es besonders Kinder, die von Videospielen beeinflusst werden, da diese im Vergleich zu Erwachsenen sich immer noch in der persönlichen (geistigen) Entwicklung befinden und herausfinden müssen, wie sie mit sozialen und emotionalen Herausforderungen umgehen sollen (Lobel et al. 2016: 886). Diese Schafe treten gehäuft im Internet auf, sei es aktiv im Chat oder in Videoclips auf Youtube, über die jeder dann lacht. Leider sind sie es, die dann auffällig werden und den Ruf der ganzen Gamer-Szene herunterziehen.

Quelle: Activision

Menschen sind nicht freiwillig schwarze Schafe, niemand möchte gern der Außenseiter sein. Hinter diesem ungewöhnlichen Verhalten stecken in den meisten Fällen Probleme, welche aber nicht adressiert werden. Ein Problem könnte soziale Isolation oder Ostrazismus sein – „Ostrazismus herrscht dann vor, wenn der Ausschluss nicht kommuniziert wird, wenn die Person einfach ausgeschlossen und ignoriert wird, ohne dabei einen Grund hierfür zu erfahren“ (Wulf 2016: 42). Andere Ursachen könnten Mobbing oder andere Störfaktoren im sozialen Umfeld sein, die dafür sorgen, dass das schwarze Schaf sich in eine andere Welt flüchtet.

Im Artikel von A. Lobel, R. Engels, , L. Stone, W. Burk und I. Granic werden die schwarzen Schafe ‚problematic gamer‘ (Lobel et al. 885) genannt ; das sind Gamer, die gewohnheitsmäßig mehrere Stunden am Tag spielen und gewisse Abhängigkeiten zeigen (wie zum Beispiel das Vermeiden von sozialer Interaktionen und Verpflichtungen dem Videospiel zuliebe) (Lobel et al. 2017: S. 885). Statt Alkohol-, Drogen- oder Shoppingsucht könnten wir vielleicht von Videospielsucht sprechen. Als Grund für ihre Abhängigkeit wird im Artikel „escapism“ genannt. Das heißt kurz gesagt, dass diese Videospieler vor ihren realen Problemen flüchten, indem sie sich in ihre Videospiele stürzen. Kombinieren wir das mit meinen anderen oben genannten Ursachen, dann haben wir den Salat. Der Jugendliche, der plötzlich Amok läuft und in seiner Freizeit Shooter spielte, wurde nicht durch das Videospiel aggressiv. Es sind Probleme (psychischer Natur), die nicht behandelt werden. Der Jugendliche sucht nur einen Ausweg für die Probleme, der Shooter selber bringt ihn vielleicht nur dazu, eine gewalttätige Lösung zu finden.

Ich möchte in dieser Kolumne diese Personen nicht verunglimpfen, nur weil sie psychisch anders sind. Ich finde nur, dass es Aufgabe der Eltern ist, sich darum zu kümmern, dass ihre Kinder keinen Kontakt zu Spielen dieser Art bekommen. Altersbeschränkungen wie FSK 18 stehen nicht umsonst auf dem Cover des Videospiels und sollten in den meisten Fällen berücksichtigt werden. Es gibt natürlich Ausnahmen, die schon früher reif sind und für die ein Shooter einfach nur ein weiteres Videospiel ist – doch meistens sollten Altersbeschränkungen berücksichtigt werden.

Ich möchte in dieser Kolumne einen weiteren (subjektiven) Punkt ansprechen: Warum die Mehrheit der Zocker Videospiele eben nur als Videospiele wahrnimmt. Ein Videospiel ist für mich nichts anders als ein Film oder ein Buch. Doch statt dem vorgeschriebenen Story Plot eines Films oder Buches, dem ich als Außenstehender folge, kann ich im Spiel eingreifen. Als Akteur kann ich selber entscheiden, wie es läuft. Ich bin nicht dazu gezwungen, zu sehen, wie der dumme NPC unweigerlich seinem nahendem Tod kopflos entgegen stürmt – außer, es ist vorgesehen. Der einzige Zusatz beim Videospiel ist, dass das Spiel viel aufregender ist als der Film, da man hier nicht Zuschauer, sondern Handelnder ist. Es sind meine Entscheidungen, die Auswirkung haben auf das Spiel und andere Charaktere. Dennoch ist das Spiel eine Fiktion und ich weiß, dass ich jederzeit die Konsole oder den PC ausschalten kann.

Quelle: Electronic Arts

Ebenso verhält es sich meiner Meinung nach mit Shootern und deren gewalttätiger Inhalt. Die Geschichte mag vielleicht aggressiv und gewalttätig sein, es mag nach sinnlosem Rumgeballer aussehen. Aber der Grund, warum man als Zocker meist so ungerührt Shooter spielen kann, ist, weil es nur Fiktion ist. Man spielt nur Soldat und lebt eine Geschichte, die nicht die eigene ist. Sobald die Konsole oder der PC ausgeschaltet ist, ist man wieder man selber. Möglicherweise wird man mit der Zeit weniger empfindlich gegenüber gewalttätigen Inhalt; ich kann für mich persönlich sagen, dass ich „abstumpfe“ gegenüber fiktiver Gewalt. Vielleicht kann man sogar behaupten, dass es zur geistigen Entwicklung gehört, gegenüber bestimmten Inhalten „stumpf“ zu werden und zwischen Fiktion und Realität trennen zu können. Tatsache ist jedenfalls, dass der zehnte Horrorfilm auf mich wirkt wie der zehnte Shooter: Auch wenn es Gewalt ist, ist es nur Fiktion, also ist es nicht schlimm. Oder soll ich sagen, dass meine Eltern irgendwann zu psychopathischen Serienmördern werden, nur weil sie ein paar Horrorfilme geguckt haben?

Shooter ist und bleibt ein Shooter – reine Fiktion. Das heißt aber nicht, dass ich jetzt auf die Straße gehen und rumballern möchte, ganz im Gegenteil, ich verachte reale Gewalt immer noch. Und ich möchte auch betonen, dass alle Shooter-Liebhaber, die ich kenne, das ganz genauso sehen. Wir haben keine Lust mehr, uns jedes Mal für unser Hobby rechtfertigen zu müssen und mit wenigen schwarzen Schafen in einen Topf geschmissen zu werden. 

ANMERKUNG

Ich erhebe in dieser Kolumne keinen Anspruch auf Vollständigkeit, da ich bei weitem nicht jeden Artikel und jede Lektüre über dieses Thema komplett durchlesen konnte. Ich wollte nur einen kleinen Überblick schaffen und die gesamte Thematik etwas wissenschaftlicher angehen. Außerdem muss bedacht werden, dass die genannten Ergebnisse der Studien bisher noch nicht eindeutig bestätigt werden konnten. Ich habe lediglich versucht, meine Erfahrungen und Beobachtungen mit wissenschaftlichen Ergebnissen zu untermauern.

Quellen:

Frankfurter Rundschau (2013): Videospiele fördern laut Studie keine Gewalt, [online] http://www.fr.de/wissen/videospiele-und-gewalt-videospiele-foerdern-laut-studie-keine-gewalt-a-671829 [Zugriff am 26.03.2017]

Lobel, A.; Engels, R. C. M. E.; Stone, L. L.; Burk, W. J., und I. Granic (2017): „Video Gaming and Children’s Psychosocial Wellbeing: A Longitudinal Study“. In: Journal of Youth and Adolescene. A Multidisciplinary Research Publication. Band 46. S. 884-897. DOI 10.1007/s10964-017-0646-z

Wikipedia: Selbstbestimmungstheorie, [online] https://de.wikipedia.org/wiki/Selbstbestimmungstheorie [Zugriff am 26.03.2017]

Wulf, Tim (2016): „Kooperation und Kompetition im Videospiel Der Einfluss sozialer Interdependenz auf Stimmung und prosoziales Verhalten“. Springer Verlag. DOI 10.1007/978-3-658-16682-3

ZEIT online (2014): Inkompetenz macht Spieler wütend, [online] http://www.zeit.de/digital/games/2014-04/studie-games-aggression [Zugriff am 26.03.2017]

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